Walen und Walenzeichen im Gebirge

Seit jeher zieht die Menschen das Unbekannte und das Geheimnisvolle an. Wenn damit die Vorstellung schnell reich zu werden verbunden ist, dann ist es ihnen auch die Mühe wert. Ähnlich ist es auch mit den sog. Walenzeichen. Von ihnen wird behauptet, dass sie von Fremden aus dem fernen Welschland, die bei uns im 15./16. Jh. und auch noch später in den Mittelgebirgen nach seltenen Metallen oder Edelsteinen suchten, eingemeißelt wurden.1) Ihr Eldorado waren zwar das Riesen- und Isergebirge, aber sie besuchten auch die "Tollensteiner Berge", wie der Chronist Bohuslav Balbin darüber berichtet. Auch im Elbsandsteingebirge sind ihre Zeichen zu finden. Ihre Fundorte kennzeichneten sie durch verschiedene Symbole an Bäumen oder meißelten sie in Felsen. Sie benutzten Kreuzzeichen, einzeln oder kombiniert, Kreise und Quadrate, geheimnisvolle Zahlen und Buchstaben, ganze rätselhafte verschnörkelte Inschriften, primitive Gesichter, eine ausgestreckte Hand, einen Schlüssel oder eine Wünschelrute, gern auch die Figuren eines Bischofs oder nur eines Krummstabes, eines Adlers mit gespreizten Beinen, eines Marders oder eines Entenfußes. Viele dieser Zeichen wurden aus Unkenntnis vernichtet.2) Übriggeblieben sind nur die gründlich in Felsen eingehauenen und meistens weit von menschlichen Siedlungen entfernten.

Einer von diesen Orten ist der Waldsteinfelsen unweit des Wallteiches im Lausitzer Gebirge. Unter den verschiedenen Zeichen tritt ein großes Kreuz hervor, unter dem ein Wappenschild mit gekreuzten Schlüsseln zu sehen ist. Außerdem finden wir hier die Zeichnungen eines Kelches, einer Geige, kleinerer Kreuze, von Initialen, Jahreszahlen und verschnörkelte Inschriften. Die Echtheit einiger Zeichen wird durch ein Grenzprotokoll von 1555 belegt. Als älteste Jahreszahl fand ich an der Felswand das Jahr 1534.3)

Ähnliche Zeichen findet man aber auch an verlassenen Stellen in den Felsen der Böhmischen Schweiz. Kein Wunder, die Sandsteinwände und die romantische Felsenwelt inspirieren manchmal buchstäblich dazu, in den weichen Stein zu ritzen. So können wir auf die verschiedensten Zeichenspuren der Menschen stoßen, die sich hier seit dem 16. Jahrhundert bis in die heutige Zeit verewigt haben, die zeitlich schwer zu bestimmenden Schleifflächen nicht mitgerechnet.4) Walenzeichen finden wir am Großen Winterberg bei Herrnskretschen, wo sich auch der sog. Silberwandstollen befindet. Er ist fast 35 m lang und knapp einen Meter hoch; auch seine Entstehung wird den Walen zugesprochen. Über dem Stolleneingang sind verschiedene Initialen, Zeichen und Jahreszahlen ab dem 16. Jahrhundert eingemeißelt. In einer Seitenschlucht findet man hier unter Felsüberhängen eine Reihe von deutlich ausgeführten Zeichen, darunter eine Retorte, die auch in umgekehrter Ausführung am Waldstein vorkommt und die dem alchemistischen Zeichen für Gold nahekommt. Ein anderes Zeichen kann als das alchemistische Symbol für Silber interpretiert werden.5) An einer Stelle in den nahegelegenen Auerhahnwänden ist dagegen das Zeichen eines Mondgesichtes zu erblicken. Die glatt ausgeführte Halbkugel hat einen Durchmesser von etwa elf Zentimetern und ist mit Gesichtszügen versehen. Von manchen Fachleuten wird die Entstehung dieses Zeichens, das für Silber verwendet wurde, ins Mittelalter gelegt.

Solche Fundorte wurden von den unbekannten Fremden in die geheimnisvollen Walenbücher eingeschrieben. Sie taten es nicht zum Gebrauch für die einheimische Bevölkerung, sondern für sich selbst oder ihresgleichen zum Zwecke des schnelleren Auffindens der festgestellten Fundorte. Die Bücher sind schwülstig geschrieben und es wimmelt darin an phantastischen Übertreibungen. Wir stoßen hier jedoch auf alte topographische Angaben, die zwar verschiedentlich verworren, aber unserer Aufmerksamkeit wert sind. In der Vergangenheit wurden die Walenbücher abgeschrieben und geheim gehalten. Eine Abschrift ließen sich auch die sächsischen Majestäten machen, und so ist denn ein solches Exemplar von anno 1590, fein säuberlich in Leder gebunden, noch heute im Staatsarchiv Dresden zu finden. Wenn wir die Abschrift als glaubwürdig betrachten, werden zu dem erwähnten Jahr "der Winterberg in Meißen", das "Silbertal gegen Hertzkretschen" sowie die Orte "Jonasdorff" (Jonsdorf) und Rosendorf unter anderem genannt.6) In der Vergangenheit zweifelten einige Heimatforscher an der Echtheit der Walenbücher und schrieben ihr Entstehen den Einheimischen zu, die auf diese Weise aus kommerziellen Gründen die Aufmerksamkeit der Fremden auf unserere gebirgige Heimat lenken wollten.

Die Walenzeichen in den Auerhahn- und Silberwänden können leicht übersehen werden. Die romantische Landschaftsszenerie mit Fernblicken über ein Meer von Wäldern beeindrucken wohl jeden Besucher und hinterlassen einen tiefen, fast mystischen Eindruck. Ein ähnliche "luftige" Atmosphäre ist auch auf den Felsmassiven des Hohen Schneebergs zu finden. Und siehe da - auch hier hinterließen die Wälschen ihre Zeichen - eine ausgestreckte Hand, einen Entenfuß und das Datum 30. Juni 1601. Das Datum ist glücklicherweise nicht welschisch geschrieben, sondern ganz verständlich deutsch und noch dazu doppelt. Ob die dortigen Felsüberhänge und das verschüttete Mundloch beim Wasserstollen, der ab 1909 zur Wasserversorgung diente, auch wirklich mit den Walen in Zusammenhang gebracht werden kann, darüber können wir heute nur streiten. Ehrlich gesagt, mich fasziniert an Ort und Stelle weit mehr der überwältigende Fernblick über die ausgedehnten Wälder der Sächsischen Schweiz bis zur Festung Königstein. Wer bis zu den Felsen mit den Walenzeichen hinaufgekraxelt ist, muss den Eindruck gewonnen haben, dass die heimlich tuenden Walen diese romantischen Orte hauptsächlich wegen der Augenweide und Verborgenheit aufgesucht haben. Nach Erzen haben sie wohl auch gesucht, aber etwa so, wie ein Schüler beim Unterricht Aufmerksamkeit vortäuscht, unter der Schulbank jedoch in einen spannenden Karl-May-Roman vertieft ist.

Schließlich hatten es die sagenreichen Walen auch nicht nötig, mühevoll im Erdboden oder gar im Sandstein zu graben, wo sowieso kein Gold oder Silber vorhanden ist. Wer das Isergebirgsbuch von Miloslav Nevrlý gelesen hat, weiß doch, dass die Welschen allerhand Zauberkünste beherrschten, auf Geißböcken oder Zaubermänteln herumflogen, dass sie überall eine Fülle von Perlen und Gold vorfanden, und dass jeder Bach eine Lawine voller Saphire, Smaragde und andere Kleinode mit sich rollte. Es genügte sich nur zu bücken. Eine alte Sage erzählt von einem Fremdling, der alle drei Jahre regelmäßig nach St. Georgenthal kam und den man nur den Welschen hieß. Er kam auf einem Geißbocke in das Städtchen geritten, trug eine fremdländische Tracht und verkehrte mit niemandem. In dem Gasthause, wo er Herberge hielt, blieb er eine Zeit, dann bezahlte er eines Abends seine Rechnung und verschwand am nächsten Morgen, ohne den Wirtsleuten vorher ein Wörtchen zu sagen. Die Leute im Stadtl ergingen sich allerlei Vermutungen; einige wollten wissen, der Welsche suche Steine, andere sprachen wieder anders und niemand wusste das Rechte. Auch der Wirt wusste darüber nichts, dachte aber im Stillen: "Kommt dein Gast noch einmal, so wirst du ihn dringen - vielleicht sagt er doch etwas." Als drei Jahre um waren, kam der Welsche wieder und kehrte bei dem Wirt ein. Dieser konnte es nun nicht länger über sich bringen zu schweigen und richtete an seinen Gast die Frage, was ihn denn in diese Gegend führe. Der Welsche schwieg eine Weile und sagte dann mit kluger Miene: "Lieber Mann! Ihr wisst gar nicht, was ihr für Schätze in eurer Gegend habt und wisst auch gar nicht, was für ein glücklich und gesegnet Land euer Böhmen ist." Mehr sagte der Welsche nicht und der Wirt wusste nun so viel wie zuvor.7)

Unlängst begegnete ich auf der Eisenbahnstation Tannenberg meinem Freund Affi. Seinen Spitznamen erhielt er vor Jahren unter den Wanderern, weil er als Amulett eine kleine Affenfigur mit sich trug. Heute ist er durch etwas anderes bemerkenswert geworden. Er besitzt Eigenschaften der sagenreichen Walen - er sucht in den Wäldern nach Spuren vom alten Bergbau. Als ich ihn fragte, wohin des Weges, antwortete er ausweichend: "Ich suche wieder nach alten Stollen" und eilte weiter. Die geheimnisvolle und abenteuerliche Walenromantik spiegelt sich aber auch in den Liedern wieder, die unter den Tramps gesungen werden. Eines der Lieder erinnert an die Sage vom Walen in St. Georgenthal. Es erzählt von einem harten Kerl, der eines Tages in einer kleinen Goldgräberstadt erschien. Sein Gesicht verbarg er unter einem breiten Sombrero. Niemand wusste, was er so tut, aber man erzählte, er suche oben in den Bergen sein Ziel. Eines Tages erschien er strahlend und lud die Goldgräber zu einer Runde ein, weil er nun Geld haufenweise habe.8)

Ich habe zwar nicht herausfinden können, was die Walen gesucht haben, eine sensationelle Entdeckung habe ich aber doch gemacht. Solange in unseren Wäldern geheimnisvolle Erzsucher wie Affi herumirren und solange bei den Lagerfeuern Goldgräberlieder erklingen, so lange sind auch die Walen in unseren Bergen noch nicht ausgestorben.

Anmerkungen und Quellen

  1. Der Begriff "walch", "walhisch", "wälsch", "welsch" bedeutet soviel wie fremdländisch, vor allem romanisch, italienisch. Das Wort kommt heute noch in dem aus Südeuropa stammenden Wirsing als "Welschkohl" vor, auch kennen wir den Ausdruck "kauderwelsch" oder "Walnüsse". Von Italien sprach man früher als dem "Welschland". Die Italiener waren in Böhmen als bedeutende Architekten, Baumeister, Stukkateure, Maler, Bildhauer und andere Künstler berühmt. Sie kamen auch gruppenweise im 18. Jh. als Bauarbeiter der Kaiserstraßen, im 19. Jh. wirkten sie beim Bahnbau ebenso wie bei den Arbeiten in der Forstwirtschaft infolge der Borkenkäferkalamität mit. Die Bezeichnung "Welsche" wurde so zum Synonym für Italiener.
  2. Die auch zu unseren Lebzeiten fortschreitende Verwitterung des Sandsteins, vor allem aber die übrigens schon seit zwei Jahrhunderten verbreitete Unsitte, dass Besucher ihre Namen, zumindest die Initialen, in den Sandstein einkritzeln müssen, tragen dazu bei, dass viele wirklich alte und erhaltenswerte Felsinschriften verlorengegangen oder ganz unkenntlich geworden sind.
  3. Vom Waldsteinfelsen wird ausführlicher in der 8. Fortsetzung berichtet.
  4. Es handelt sich um Rinnen an der Oberfläche von Sandsteifelsen, die durch menschliche Tätigkeit entstanden sind. Ihrer Art und Lage nach entstanden diese beim Schleifen ovaler Gegenstände, möglicherweise Werkzeuge. Als einfache Form von allgemeiner Bedeutung sind sie nicht nur in Europa, sondern auch außerhalb bekannt. Sie können jedoch nur in den seltensten Fällen eindeutig datiert werden. Es liegen Indizien vor, dass einige der Schleifspuren in der Böhmischen Schweiz aus der urgeschichtlichen Besiedlung stammen können.
  5. Derartige Zeichen hatten zu ihrer Zeit eine weite Verbreitung. In der heutzutage zugänglichen Literatur finden wir sie z. B. als alchemistischen Zeichen oder Steinmetzzeichen erwähnt. Siehe z. B. R. Schramm: Venetianersagen von geheimnisvollen Schatzsuchern. Freiberg 1986, oder A. Meiche: Sagenbuch des Königreichs Sachsen. Leipzig 1905.
  6. H. Lemme: Walen und Walenzeichen im Gebirge. Sächsisches Tagblatt Nr. 207 vom 31. 8. 1976, Ausgabe Dresden.
  7. L. Schlegel: Das Böhmische Niederland. Rumburg 1928, S. 22. Siehe auch NEC, 5. Jg., S. 286, B. Leipa 1882.
  8. Es handelt sich um ein amerikanisches Volkslied, das ins Tschechische übernommen wurde.