Die Kaufmannsbuche
Auf unserem Streifzug zu
den Flurdenkmälern des Lausitzer Gebirges führte uns bisher die Alte Prager
Straße. Sie verlief nicht wie heute über den Schöberpass1),
sondern schlängelte sich von der Burgruine Tollenstein unter den Hanfkuchen
(oberhalb der Bahnstation Tannenberg) und von da weiter bis nach Neuhütte, wo
sich einst eine Glashütte befand, die der Einschicht auch ihren Namen gab. Nun
folgte die alte Handelsstraße dem jetzigen Fahrweg nach Oberlichtenwalde, zweigte
aber an ihrem höchsten Punkt (572 m) nach rechts zur Burgruine Mühlstein ab.
Bei dieser Abzweigung stand neben der alten Buche Leinerts Bild, eine Örtlichkeit,
die wir in alten Wanderkarten noch finden können.2)
Die Überlieferungen erzählen, es sei hier dem Förster Leinert ein weißer Hirsch
mit Kreuz erschienen.3) Es könnte
sich eher um ein Heiligenbild mit dem hl. Eustachius oder Hubert gehandelt haben.
Das Bild verkam und verschwand anfangs des 20. Jahrhunderts, die Bezeichnung
lebte aber bei der deutschen Bevölkerung bis zur Vertreibung weiter.4)
Ebenfalls an dieser Straße, etwas zurück
in Richtung Neuhütte, befand sich an einer Buche ein Bild mit der Darstellung
eines Raubüberfalles, zu dem es hier im Jahre 1928 gekommen war. Der in Oberlichtenwalde
Nr. 27 wohnhafte Händler Josef Kaufmann (Röbschhandl) betrieb sein Geschäft mit
Eiern, Butter, Quark, im Sommer auch mit Waldfrüchten und fuhr zweimal wöchentlich
mit seiner Ware ins Grundtal. Er war von stattlicher Gestalt und trug einen
breiten Hut. Bei der Rückkehr machte er gern in Wendlers Gasthaus am Dorfende
in Buschdörfel (Innozenzidorf) halt, um ein Bier zu trinken. So war es auch
an jenem Schicksalstag, dem 11. September 1928, als er mit seinem Fuhrwerk den
Rückweg nahm. Als er den Schöber passierte, wurde es dunkel. In dem einsamen
Gehöft von Neuhütte brannte bereits Licht. Hier zweigte er auf die ihm vertraute
Bezirksstraße nach Oberlichtenwalde ab und gelangte bald in den Wald. Der Wagen
holperte die von Buchenwald gesäumte Strasse am Hang des Friedrichsberges entlang.
Plötzlich fielen Schüsse aus dem Hinterhalt und Josef Kaufmann brach zusammen.
Die mit ihm fahrende Anna Fischer wurde durch zwei weitere Schüsse leicht verletzt.
Die scheuenden Pferde erreichten alsbald Oberlichtenwalde. Man begab sich an
den Platz, den Überfallenen zu suchen, dem war aber nicht mehr zu helfen. Der
Mord wurde nie aufgeklärt.5) Obwohl
man in der Brieftasche des Ermordeten 400 Kronen gefunden hatte, nahm man dennoch
an, dass es sich um einen Raubmord gehandelt habe.6)
Die Tochter des Ermordeten lebte noch lange
unweit ihres Elternhauses. Mit den Jahren verschwand auch das Bild mit der Darstellung
des Überfalles. Als mein Vater mit mir um 1970 die Unglücksstelle aufsuchte,
konnten wir nicht einmal die Buche wiederfinden - vermutlich war sie gefällt
worden. Um die Erinnerung wachzuhalten, fertigte ich eine einfache Holztafel
an (mit Kaufmanns Namen und einem Kreuz in der Mitte) und befestigte sie an
einer stattlichen Buche am Sattel bei der Wegteilung (572 m), dort wo früher
Leinerts Bild stand. Die Tafel wurde inzwischen von Unbekannten einige Male
erneuert. Auf den neuen tschechischen Wanderkarten finden wir an dieser Stelle
das Zeichen eines bemerkenswerten Baumes und die Bezeichnung Kaufmannův buk
(Kaufmannsbuche).
Anmerkungen und Literatur
- Die Schöberstraße, die heute die Nummer I/9 trägt, wurde als die sog. Kaiserstraße Anfang des 19. Jh. zu Ende gebaut und war ursprünglich durch Schotter verfestigt, im Wald auch mit Holzstämmen. Der Straßenabschnitt ist heutzutage unter den Autofahrern wegen seiner Gefährlichkeit bekannt und wird tschechisch als "Šébr" bezeichnet. In den Jahren 1921 bis 1928 wurde hier das bekannte Schöberbergrennen durchgeführt.
- Messtischblatt 1:25 000 St. Georgenthal 5153. Siehe auch - M. Lehmann: Führer durch die Oberlausitz und das nördlichste Böhmen. Bautzen 1926.
- Mündliche Mitteilung von A. Statzka (+) aus Morgenthau Nr. 13 im J. 1971.
- K. Hahnel: Führer durch das nördlichste Böhmen. Verlag Ed. Strache Warnsdorf (um 1930), S. 82.
- Schriftliche Mitteilung von A. Šimek aus Warnsdorf und M. Schindler (+1988) aus Olbersdorf bei Zittau Nr. 131 im J. 1974.
- Nach der Ortschronik von Oberlichtenwalde von E. Schubert (Großschönau 1997, S. 56-57), schreibt die Warnsdorfer "Abwehr", dass verschiedenen nordböhmischen Gendarmeriestationen mitgeteilt wurde, die Kellnerin Flora Mitritz in Zwickau könne nähere Angaben über den Mörder machen. Die genannte hatte vor Jahren mit dem Fleischer Albert Schiefner im gemeinsamen Haushalt gelebt. Dieser stammte aus Oberebersdorf und pachtete das Gasthaus Wendler in Innozenzidorf, wo Flora Mitritz bei ihm als Kellnerin beschäftigt war. Als es zu einer Beziehung zwischen Mitritz und Schiefner kam, ließ sich Schiefners Frau von ihrem Mann scheiden. Nachdem Schiefner die Ersparnisse der Mitritz (1 400 Kronen) aufgebraucht hatte, gingen beide auseinander. Das geschah zu einer Zeit, als der Mord an Kaufmann schon verübt worden war. Später besuchte Schiefner seine frühere Lebensgefährtin in Prag. Er hatte einen Geldbetrag bei sich, von dem er behauptete, ihn seinem Vater entwendet zu haben. Mitritz gewahrte bei Schiefner jedoch ein Notizbuch, das sie als Eigentum des ermordeten Händlers erkannte. Sie hatte es noch in guter Erinnerung, denn Kaufmann kehrte auf seinen Fahrten nach Warnsdorf oft im Wendlerschen Gasthaus ein. Schiefner, der schon mächtig dem Alkohol zugesprochen hatte, gab schließlich der Mitritz gegenüber zu, Kaufmann ermordet zu haben. Er habe, um der Tat den Anschein eines Raubmordes zu nehmen, in der Geldtasche Kaufmanns 400 Kronen zurückgelassen und sich 1600 Kronen angeeignet. Als die Gendarmerie auf Schiefners Spur war, bat Schiefner die Kellnerin, ihn nicht zu verraten, im anderen Falle werde er sie umbringen. In ihrer Furcht gab die Mitritz beim Verhör an, sie wisse von der Angelegenheit nichts. Als sie jedoch später erfuhr, dass Schiefner verheiratet sei und in Rumburg eine Fleischerei betreibe, machte sie eine Szene und wurde verhaftet. Danach schrieb sie Schiefner, er möge ihr ihr Geld zurückgeben, Schiefner antwortete ihr, er will nicht belästigt werden, anderseits würde er eine Anzeige erstatten. Daraufhin veranlasste Mitritz, dass die Gendarmerie vom Mord erfuhr und dass Schiefner in Rumburg verhaftet wurde. Bei der Untersuchung gestand Schiefners erste Frau, er habe einen Trommelrevolver besessen, der auch vorgefunden wurde und dessen Kugeln mit jenen vom Tatort übereinstimmten. Schiefner, der den Mord immer energisch bestritt, wurde schließlich dem Warnsdorfer Bezirksgericht übergeben.Über den weiteren Verlauf der Verhandlung ist jedoch nichts mehr bekannt.