Das Dreiländereck

Bei unserer letzten Wanderung führte uns die Alte Prager Straße von der Burgruine Tollenstein unter den Hanfkuchen, wo wir neben dem Bildstock "Beim Jakobi" rasteten. Verfolgen wir nun diesen alten Weg weiter in Richtung Neuhütte. Der Weg verläßt nach etwa fünfzig Schritten den Hohlweg, der wohl für Wegelagerer ein ideales Plätzchen war, der jedoch - seiner Steilheit, Engheit und des feuchten Bodens wegen - zu bequemen Reisen weniger geeignet war (deshalb die Bezeichnung Teufelsgraben). Wir machen auf einer kleinen Ebene am Hang des Hanfkuchens halt, wo die Alte Prager Straße nach links abbiegt. Zu den zerborstenen Gipfelfelsen des Hanfkuchens, der schon zur deutschen Zeit des öfteren Hirschenstein genannt wurde (die Karten nannten jedoch den alten Namen Hanfkuchen), führt ein enger markierter Pfad steil bergauf. Rechts bergab führt ein alter, heute nicht mehr benutzter Waldweg zur Bahnstrecke Tannenberg - Neuhütte, der mit einer nummerierten Reihe von Grenzsteinen markiert ist. Die Grenzsteine sind beiderseits gekennzeichnet durch die Jahreszahl 1803 und die Anfangsbuchstaben der Herrschaften - KA (Böhmisch-Kamnitz) und R (Reichstadt). Auf ihrem runden Haupt ist ein Kreuz eingemeißelt. An der Weggabelung steht eine hohe prismatische Säule aus dem 19. Jahrhundert, die die Reviereinteilung durch eingemeißelte verzierte Nummern bekundet. Diese Nummern sind auf alten Forstkarten (in der damaligen Terminologie Bestandskarten genannt) zu finden. Außerdem verläuft hier die Grenze der Bezirke Tetschen und Böhmisch-Leipa. Diese ist identisch mit dem historischen Grenzverlauf zweier alter Herrschaften - der Mühlsteinschen , also der Herrschaft Reichstadt und der Böhmisch-Kamnitzer Herrschaft. Außerdem reicht bis hierher das Gebiet des ehem. Schleinitzer Ländchens (Herrschaft Tollenstein, später Rumburg). Als alter Zeuge dieses Dreiländereckes aus der Feudalzeit stand hier der Rest eines Grenzsteines von ungewöhnlicher Form, der leider im Herbst 1998 gestohlen wurde. Er wurde aus dem Quarzit der Steinbrüche der Burgruine Mühlstein angefertigt, aus dem jahrhundertelang die weithin bekannten Mühlsteine erzeugt wurden. Der Säulenklotz von der Höhe einer Menschengestalt, der etwas geneigt durch die Wurzeln einer alten Fichte war, leuchtete etwas schauderhaft auf dem moosigen Teppich dieser winzigen Lichtung hervor. Sein dreieckiger Schaft mit gewölbten Kanten hatte konkave Seitenwände, jede von ihnen war der entsprechenden ehemaligen Herrschaft zugewandt. Den Untersatz der Säule bildete ein niedriges Dreiblatt, das auf einem viereckigen Untersatz ruhte, der mit einem unbeschädigten Steinmetzzeichen gekennzeichnet war. Säule und Zeichen stammten ihrer Form nach aus der Renaissancezeit. Auf Kreibichs Karte1) und der Karte der Bezirkshauptmannschaft Tetschen2) aus dem Jahre 1850 wird die Säule als "3-Herren-Säule" bezeichnet. Eine Wirtschaftskarte3) führt die verstümmelte Bezeichnung "Bei drei Säulen".
Noch eine weitere wertvolle Landkarte des Gebietes ist uns erhalten geblieben. Sie wurde als Beleg der bereinigten und mit Grenzsteinen gekennzeichneten, ehemals strittigen Grenze zwischen der Liechtensteinischen und Böhmisch-Kamnitzer Herrschaft im Jahre 1745 angefertigt. In der Legende der Karte erfahren wir, dass " zwischen der Hochfürstlichen Lichtensteinischen Herrschafft Rumburg, dann der Hochgräfflichen Kinskischen Herrschafft Böhmisch-Kamnitz bey denen Neudörffler, Obergrunder, St. Georgenthaler und Tollensteiner Reviren ehemahls strittige, nochmahls aber vergliechene, und Ao 1741 den 7.t Augusti mit 104 Rumburger Seiths mit der Lit R: Kamnitzer Seiths mit der Lit K: und der Jahr=Zahl:1740 ut. Sigl. gezeichneten gränitz=steinen ordentlich bereiniget, und außgesetzte Gränitzen." Einige dieser Grenzsteine sind bis heute erhalten geblieben, so dass man den Grenzverlauf stellenweise gut verfolgen kann. In der linken unteren Ecke des Planes ist die Dreiherrensäule farbig dargestellt. Den Kopf der Steinsäule, der heute leider fehlt, bildeten drei Wappen, die in das jeweilige Herrschaftsgebiet gerichtet waren.4) Der alte Grenzplan ist mit den Unterschriften und Siegeln des Fürsten Wilhelm zu Lichtenstein und des Grafen Philipp Kinsky versehen.5) Diese Säule wurde angeblich am 29. Juli 1705 gesetzt, als es ebenfalls zu einer Grenzbereinigung gekommen war. Aber schon viel früher soll hier eine andere rote Säule gestanden haben.6) Dass die Grenze zwischen der Kamnitzer und Tollensteiner Herrschaft strittig gewesen war, belegt auch der alte Flurname "Zwietracht", den schon die Oedersche Karte der Tollensteiner Umgebung beinhaltet. Die Streitigkeiten mögen Jahrhunderte lang gedauert haben. So findet man anderenorts im Wald auch Grenzsteine von 1728, die auf einen älteren, heute nicht mehr gültigen Verlauf hinweisen. Auf unserem sorgfältig gezeichneten Plan7) von 1571 findet man neben einer Reihe von Flurbezeichnungen auch "Die Teuffelsgrub bey drey herrn Dahnn", also den Teufelsgraben bei der Drei-Herren-Tanne. Es ist anzunehmen, dass im 16. Jahrhundert anstelle der Säule die Funktion des Länderdreiecks drei Tannen bildeten.
In alten Zeiten war es noch nicht notwendig, den Grenzverlauf durch Grenzsteine zu markieren. Diesen Zweck erfüllten ausreichend die Kammzüge, Felsen, Bäche oder Bäume. In die Bäume wurden dann Einschläge gemacht. Manchmal brachte man auch eine Tafel am Baum an, wie es bei der Königin des Isergebirges - der Tafelfichte - der Fall war (daher ihr Name). Aus einem Kaufvertrag8) von 1573 geht hervor, dass eine Tanne (die Vorläuferin unserer Grenzsäule) zu ihrer Zeit ein allgemein bekannter und wichtiger Orientierungspunkt war. Auch in der sagenreichen Nachricht über den Schatz im Meisengrund, den angeblich als Augenzeuge, der Italiener Moli, beschrieben hat, wird ebenfalls von "drey Tannen" berichtet.9)
Analoge Fälle zu unserer dreieckigen Säule findet man auch in anderen Gebirgen. Z. B. im Altvatergebirge sind es die Wappen der Žerotíner aus Lositz, des Deutschen Ritterordens und des Breslauer Bistums. Auch bei uns im Niederland befand sich ein "Dreiländereck" und zwar unterm Wolfsberg bei Gärten, wo die Herrschaften Schluckenau, Hainspach und Böhmisch-Kamnitz zusammenstießen. Als man hier um 1960 eine Entwässerung der Wiese vornahm, wurde der alte Grenzstein umgestürzt und ist seitdem nicht mehr auffindbar.10)

Anmerkungen und Literatur

  1. Charte zur Übersicht der Grenze des Leitm. Kreises mit Sachsen u. d. Oberlausitz in 2 Blättern von Caronic Kreybich. Staatsarchiv Prag, Karmelitská.
  2. Charte der Bezirkshauptmannschaft Tetschen 1850. Bezirksarchiv Tetschen, Kartenabteilung.
  3. Wirtschaftskarte Rumburg, Niedergrund. Forstkarte 1:7200 aus dem J. 1900. Leitmeritzer Staatsarchiv, Zweigstelle Tetschen.
  4. Der Kopf der Säule mit den Wappenzeichen fehlte schon anfangs des 20. Jh. Eine Restaurierung des Restes (die 1927 beendet wurde) wurde vom Tollensteiner Oberlehrer Pleschke angeregt und kostete 700 Kronen (Aus einer Abschrift der Chronik von Tollenstein, S. 206, die G. Vacek zur Verfügung stellte.)
  5. Mappa Geometrica... von 1745. Leitmeritzer Staatsarchiv, Zweigstelle Tetschen. Wie wichtig die Grenzbereinigungen oder spätere Grenzgänge mit der Überprüfung der Grenzsteine waren, belegt die Tatsache, dass zu diesen Grenzgängen gewöhnlich die Buben des Ortes mitgenommen wurden und ihnen bei dieser Gelegenheit die Bedeutung der Grenzsteine zuweilen drastisch eingebläut wurde. Dieser Brauch lässt sich recht früh belegen. Im 15. Jh. ordnet der Junker von Rodenstein an, dass die Markgenossen der Rodensteiner Mark die Grenze alle sieben Jahre im Beisein etlicher junger Knaben jeden Ortes begangen werden. (H. Bortmuth, H. Lorenz: Von alten Grenzen und ihrer Markierung. Geschichtsblätter, Kreis Bergstrasse. Band 17/1984.)
  6. Zeitschrift Gebirgsfreund XV., S. 13.
  7. G. Oeder: Kartenplan der Umgebung des Tollenstein, Anno 1571. Staatsarchiv Dresden.
  8. Leitmeritzer Staatsarchiv, Zweigstelle Tetschen, VS Lipová, Inv.Nr. 412, Sign. C-I/28/1.
  9. Mitteilungen des Nordböhmischen Exkursionsklubs (in den weiteren Beiträgen von nun an nur NEC bezeichnet), 8. Jahrgang, S. 24-27. B. Leipa 1885.
  10. Der Ort wurde von den Bewohnern wirklich als Dreiländereck bezeichnet. (Mitgeteilt von R. Marschner, Wolfsberg Nr. 97 im J. 1997.)